Die ersten Wochen in der Therapie

Die ersten Wochen in der Therapie

Liebe Sandra,
schon relativ zu Anfang der Therapie habe ich angefangen, davon zu träumen, dir irgendwann, wenn es soweit ist, diesen Brief zu schreiben. Einen Brief, in dem ich die Therapiezeit Revue passieren lasse und gesund bin.
Und nun ist es soweit und ich bin so glücklich, aber auch überrascht, dass es für mich wirklich schon bzw. überhaupt möglich ist, dir diesen Brief zu schreiben.

Ich kam zu dir, weil ich magersüchtig war. Ich habe nicht verstanden, was mit mir los ist, wie ich da rein geraten konnte und war hilflos, weil ich merkte, ich komme da nicht alleine raus. Ich hatte schon so viel versucht und gekämpft, aber nichts half wirklich.

Mir ging es schlecht. Ich fühlte mich alleine und verloren, weil ich dachte, niemand versteht mich oder kann ansatzweise nachvollziehen, wie es mir geht, wie gefangen ich bin und wie anstrengend, zermürbend und belastend das Leben in dieser Form für mich ist. Ich war unglücklich und befand mich in einer schwarzen Leere. Ich hatte keine wirkliche Freude im and am Leben. Jeder Tag war belastend und ich war oft am verzweifeln, weil ich merkte, dass ich so nicht leben wollte, aber auch nicht wusste, was ich tun muss, um wieder zurück ins Leben zu finden.

Nach dem ersten Beratungsgespräch bei dir änderte sich dies jedoch schon. Ich weiß noch genau, wie ich heimkam und sofort ganz aufgeregt meine Mama anrief und ihr erzählte: „Wenn mir jemand helfen kann, dann ist es diese Frau und die Therapie.“
Du hast es geschafft, ab der ersten Stunde meine Hoffnung zu bestärken, dass ich es schaffen werde und irgendwann wieder gesund bin.

Die ersten Wochen der Therapie hatte ich hauptsächlich ein Thema: ESSEN und SPORT. Ich war so eingeschränkt und gefangen von meinen Strukturen, Regeln und Verboten, die ich mir ja selbst machte, dass mein Leben eigentlich nur daraus bestand, alle selbst gestellten Regeln genauestens zu befolgen. Daneben gab es nichts oder nur sehr wenig Anderes. Bevor ich irgendwas am Tag machen oder essen durfte, musste ich mir im Gegensatz zu allen anderen Menschen, dies erst einmal verdienen.

Das war mein Gesetz. Und das habe ich versucht, so perfekt wie möglich umzusetzen. Jeder Morgen begann mit meinem Sportprogramm. Wenn ich daran dachte, dies nicht zu machen, wurde ich nervös und geriet teilweise wirklich in Panik, weil ich dann ja eine faule, unmotivierte, undisziplinierte, imperfekte und schlechte Person war. Warum? Das hatte ich vor der Therapie nie hinterfragt, ich kam gar nicht darauf, es zu hinterfragen, weil für mich feststand, dass es so war.

Wenn ich mir dann endlich mein Essen verdient hatte, hatte ich mir erlaubt über den Tag verteilt ein paar Portionen zu essen. Dies durfte aber gewisse Mengen nie überschreiten und musste auch ganz genau, zu der von mir festgelegten Uhrzeit eingenommen werden. Konnte ich aus irgendeinem Grund dies nicht einhalten, wurde halt gar nichts gegessen, denn außerhalb der Struktur zu essen war undenkbar. Ich war überzeugt davon, dass diese Strukturen und Regeln mir Sicherheit geben. Wenn ich mich daran halten würde, konnte ja schließlich nichts Schlimmes passieren, alles war ja genau geplant. Dass essen nichts damit zu tun hat, was im Rest des Lebens passiert, habe ich damals natürlich nicht nicht gesehen. Es war auch sehr schwer und belastend die Krankheit vor Anderen, z.B. meinen Freunden, zu verbergen.

Jedes Mal, wenn ich auf einen Geburtstag eingeladen war, kam ich erst später, weil ich nicht in die Situation geraten wollte, dort essen zu müssen, generell mit Anderen zu essen oder gefragt zu werden, warum ich gar nichts esse. Wenn Andere beim Essen dabei waren, fühlte ich mich immer beobachtet und dachte, sie bewerten was, wie, wie viel oder wie wenig ich esse. Das war für mich unerträglich.