Erkrankte Stimme
Die erkrankte Stimme
Menschen, die unter Essstörungen leiden, kämpfen oftmals gegen verdrängte Gefühle und Bedürfnisse an. Essstörungen können jedoch auch Lösungsversuche oder stumme Proteste bzw. Ablehnungen sein. Fakt ist, dass Betroffene rund um die Uhr einen inneren Krieg mit sich selber ausfechten. In ihrem Kopf streiten zwei Stimmen, in ihrer Brust wohnen zwei Seelen. Der meist kleinere und schwache Part spiegelt die eigene Persönlichkeit – der größere und mächtigere Part ist die extrem böse, negative und destruktive Stimme. Was als Zweifel, Unentschlossenheit und mäßige Selbstkritik begonnen hat, steigert sich zu einer autonomen Macht und die Symptome einer Essstörung werden sichtbar. Sie tragen ihre inneren Spannungen auf dem „Schlachtfeld Körper“ aus.
Patienten, die unter einer Essstörung leiden, nehmen alles Gesagte bewusst gegen sich auf. Sie sind nicht mehr in der Lage, die Dinge real und objektiv zu sehen. Diese überkritische Subjektivität zwingt die Opfer, jede Bemerkung als negative Spiegelung zu deuten oder einen Schuldvorwurf für jedes nur mögliche Ereignis herauszuhören. Dies macht es besonders Familie und Freunden unmöglich, zur wahren „Seite der Betroffenen“ durchzudringen. Jeder Bemerkung, so wohlwollend sie auch gemeint sein mag, entnimmt die Betroffene Material, das ihre negativen Überzeugungen von sich selbst bestätigt. Sie ist nur in geringerem Maße dazu fähig, Dinge rational und objektiv zu sehen oder auch nur Entscheidungen zu treffen. Sie unterwirft sich den Wünschen anderer und wird immer unsicherer und ängstlicher, dass jede Entscheidung, die sie fällt, falsch sein könnte.
Emotionale und geistige Entwicklung
Viele der Betroffenen versuchen, „perfekt“ zu sein, um andere zufrieden zu stellen.
Nur wenn wir emotionale Reife erlangt haben, entwickeln wir die nötige Objektivität, um zu erkennen, dass es unmöglich und nicht erstrebenswert ist, perfekt zu sein oder ein perfektes Leben zu führen.
In der Therapie und im Umgang mit einer Person, die an einer Essstörung leidet, müssen wir stets mit dieser gespaltenen inneren Einstellung rechnen. Es ist wichtig und entscheidend in der therapeutischen Arbeit, die Betroffene von ihrer Erkrankung zu trennen und sie auseinander zu halten.
Die Essstörung kommt auf die eine Seite (auf die subjektive Seite) und die wahre Persönlichkeit (die objektive) auf die andere Seite.
Die Betroffene wird immer mehr erkennen, dass sie nicht die Magersucht oder die Bulimie ist, sondern dass sie an eben dieser Erkrankung leidet.
„Ich bin nicht die Anorexie, sondern ich habe Anorexie!“.
Wenn die Patientin auf dem Weg ist, gesund zu werden, wird die wahre innere Stimme stärker und geschickter in ihren Argumenten gegen die negative innere Stimme und die Patientin setzt sich auch in ihren Handlungen durch und übernimmt immer mehr die Steuerung. Je weiter sie vorankommt, desto weniger Glauben schenkt sie ihrer Erkrankung.
Innere Konflikte bei Essstörungen
ICH (PATIENT/-IN) | DIE ERKRANKUNG |
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Ich bin so hungrig. Ich möchte etwas essen…. | Bist du komplett bescheuert? Es ist mitten in der Nacht. Du brauchst nichts zu essen.
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Wieso nicht? Ich bin doch jetzt hungrig und fühle es….. | Niemand isst nachts! Es ist total unnormal, nachts zu essen. |
Das stimmt doch gar nicht. Letzte Woche hat mein Bruder auch nachts gegessen. Es ist sehr wohl normal! Wenn jemand hungrig ist, warum sollte man dann nicht auch nachts essen? | Sag mal, was glaubst du eigentlich, wer du bist? Kaum bist du in dieser bescheuerten Therapie, willst du nur noch essen. Wenn du so weiter machst, dann wirst du dick und fett! |
Wie bitte! Das ist doch nicht wahr…. | Wenn du unbedingt mit dem Kopf durch die Wand willst und nicht auf mich hörst, dann iss halt etwas Obst. Dann wirst du nicht ganz so fett werden.
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Ich will aber kein Obst. Wenn ich Obst esse, bin ich doch immer noch hungrig danach. | Wenn du jetzt etwas isst, dann läßt du auf jeden Fall morgen früh das Frühstück aus! |
Jeder isst Frühstück. Wieso darf ich das nicht? | Du gefräßiges Monster! Muss ich dir das nun auch noch erklären? Du bist aber auch beknackt!
Du wirst DICK und FETT! |
Ich bin so verwirrt. Ich bin doch angeblich viel zu dünn, dann wäre es doch nicht schlimm für mich, etwas zu essen? | Jetzt sag ich es dir Dussel zum 10 Mal: Du wirst nicht nur etwas zunehmen, sondern mega viel zunehmen und hinterher nicht mehr durch den Türrahmen passen! Wenn du so ein fettes Schwein werden willst, dann friss!
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Ich glaube, dass ich es im Griff habe und nicht von dem, was ich heute nacht essen werde, zunehmen kann. | Sag mal, verstehst du es nicht?
Du wirst nicht etwas zunehmen, du wirst extrem zunehmen und auseinander gehen wie ein Hefeklos. |
Ich sollte meiner Therapeutin glauben, sie sagt, dass dies nicht passieren wird. | Du glaubst mir!
Du kannst dein Gewicht nicht kontrollieren. Nur ich kann das!
Die Therapeutin redet Schwachsinn. Warum solltest du ihr Glauben schenken? Sie will dir nichts gutes.
Vertraue mir! Ich bin immer für dich da, mich kennst du schon so lange, Ich weiß, was du brauchst. |
Ich möchte dir nicht mehr glauben. Ich versuche nun der Therapeutin zu glauben. Ich weiß, dass ich mich mit dir nicht gut fühle, also kann ich nichts mehr verlieren. Ich kann nur gewinnen….. | Du bist so bescheuert!
Mach doch was du willst, du wirst schon sehen, was du davon hast |
So äußern sich innere Konflikte bei Essstörungen
Innere Konflikte bei Essstörungen zeigen sich deutlich, wenn die betroffene Person vor dem Dilemma des nächtlichen Essens steht. Die Erkrankung selbst malt ein Schreckensbild von unkontrollierbarer Gewichtszunahme und drohender Isolation, während sie behauptet, der einzige Hüter von Kontrolle und Selbstwert zu sein. Doch im Kern dieses Konflikts beginnt die Person, die toxischen Narrative zu hinterfragen. Warum sollte die Befriedigung eines grundlegenden Bedürfnisses – die Nahrungsaufnahme bei Hunger – mit Scham und Angst belastet sein?
Dieser innere Dialog erreicht einen Wendepunkt, als der entscheidende Schritt unternommen wird, das Vertrauen von der krankhaften inneren Stimme zu einer professionellen Therapeutin zu verschieben. Es ist ein leuchtendes Beispiel für den Kampf gegen den inneren Konflikt bei Essstörungen, der den Weg für Heilung und Hoffnung ebnet. Der Widerstand gegen die Krankheit und die Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben werden zum treibenden Kraft.
Diese Geschichte verdeutlicht, dass der Weg aus der Essstörung von dem inneren Konflikt bei Essstörungen geprägt ist – ein Kampf, der Verständnis, Geduld und vor allem Unterstützung erfordert. Die Entscheidung, sich professionelle Hilfe zu suchen und an einer gesünderen Selbstwahrnehmung zu arbeiten, ist ein mutiger Schritt, der trotz der Dunkelheit der Nacht, ein Licht der Hoffnung darstellt.